Erzählung von Joseph Maria Lutz
Eine vorweihnachtliche Erinnerung

Aufnahme einer Pfaffenhofener Familie (ca. 1930)
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Das war eine liebe Zeit in den „goldenen zwanziger Jahren“, wenn ich als junger Schriftsteller, der gerade seine ersten schüchternen Erfolge zu verzeichnen hatte, zu meinen Eltern nach Pfaffenhofen hinausfuhr. Meine kleine Reiseschreibmaschine hatte ich dabei, um oben im gemütlichen Zimmer, das ich mir eingerichtet hatte, ungestört arbeiten zu können.
Am schönsten war die Ankunft an Winterabenden, wenn der Schnee die Felder, die damals noch um das Haus lagen, deckte und von weitem das abendliche Licht aus dem Wohnzimmer der Eltern auf die weiße Fläche schimmerte.
Das ganze Haus roch beim Eintritt schon verheißungsvoll nach den weihnachtlichen Bäckereien, die meine Mutter in großer Zahl herstellte. Am gemütlichsten waren die Abende. Der Sturm wehte ums Haus, und mein Vater erzählte alte Geschichten, von denen ich manche in meinen Büchern verwendet habe. Meine Mutter ging zeitig schlafen, aber wir beiden „Hocker“, wie sie meinen Vater und mich nannte, saßen meist bis Mitternacht zusammen. Bei uns blieb auch der Foxl, der Hund meiner Eltern.
Er hatte dabei die Gewohnheit, bei uns auf einem Stuhle aufrecht zu sitzen und die Pfoten auf den Tisch zu stützen. So hörte er aufmerksam den Gesprächen zu.
Mein Vater holte eine Flasche Wein aus dem Keller, um den Abend abzurunden. Dabei sagte er dann immer: „Jetzt wären noch ein paar Weihnachtsplätzchen von der Mama recht.“
Meine Mutter aber kannte diese Gewohnheit des vorzeitigen Naschens und verbarg deshalb ihre Schätze sorgfältig. Immer aber wußte mein Vater die geheimen Verstecke aufzuspüren.
Nur einmal, als wieder die Flasche auf dem Tisch stand, beichtete er mir bedrückt, daß die Mutter in diesem Jahr ihre Bäckereien so gut versteckt habe, daß er sie noch nicht hatte finden können. „Und grad heut, wo du da bist, bild ich mir Platzerl ein“, schloß er seine Rede.
Ich wußte auch keinen Rat, so sehr ich selbst Liebhaber des altgewohnten mütterlichen Backwerks war.
Da fiel der Blick meines Vaters auf den Foxl, der mit schiefgeneigtem Kopfe besonders aufmerksam unsere Rede verfolgt hatte.
„Halt“, sagte mein Vater plötzlich. „Jetzt fällt mir was ein.“
Er stand auf und sprach zum Hund gewendet:
„Such, Foxl, wo sind die Platzerl vom Frauele?“
Und tatsächlich! Eifrig sprang der Hund vom Stuhl herunter, ging zur Türe, rannte dann die Treppe hin-
auf und blieb vor der Speichertüre schnuppernd stehen. Als wir die Türe aufschlossen, begab er sich freudig wedelnd vor eine alte vergessene Tru-he, die in einer dunklen Ecke stand, und stieß mit der Schnauze darauf. Wir öffne-ten und fanden wirklich die so wohlverwahrten Bäckereien. Nachdem wir uns tüchtig eingedeckt hatten, stiegen wir, herzlich lachend über die gelungene List, wieder leise ins warme Wohnzimmer hinunter.
Es wurde ein ausnehmend gemütlicher Abend. Der Foxl, als Held der Stunde, bekam sein reichlich Teil von unserem Raub als Finderlohn ab. Er war ein großer Liebhaber des mütterlichen Backwerks und deshalb hatte seine gute Nase so bereitwillig den Weg gewiesen. Als die Mutter am nächsten Tage bemerkte, daß auch ihre geheimsten Verstecke uns nicht verborgen blieben, schüttelte sie nur den Kopf über unsere Detektivtalente.
Den wirklichen Finder haben wir ihr aber nicht verraten – auf alle Fälle.

(Abgedruckt im Ilmgau-Kurier vom 30. November 1968 in der Rubrik „Übern Zaun erzählt“ mit Erinnerungen und Gedanken des Pfaffenhofener Ehrenbürgers)

Autor:

Stadtarchiv Pfaffenhofen an der Ilm aus Pfaffenhofen

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